Capital-Relaunch: Wird der ignorierte Drahtseilakt zum Verhängnis?

Vieles, was im Zeitschriftenmarkt als Relaunch angepriesen wird, ist höchstens eine leichte Überarbeitung. Was die Blattmacher als große Änderungen ansehen, wird von den Lesern kaum bemerkt – es schadet aber nicht. Die neue Capital dagegen ist wirklich ganz anders als die alte. Die Frage ist: wird sich diese große Relaunch-Anstrengung auszahlen? 

Bei Relaunches findet immer ein Drahtseilakt statt: Einerseits müssen die Verluste bei den bisherigen Verwendern, die mit dem alten Produkt voll zufrieden waren, minimiert werden – das Produkt muss Kontinuität demonstrieren. Andererseits muss das gleiche Produkt neu und attraktiver erscheinen, um Neuverwender anzuziehen. Schwierig!

Übereifrige Marketingteams tendieren oft dazu, den Drahtseilakt falsch einzuschätzen und verändern viel zu viel. Marktanteil und Geld gehen verloren, weil es bekannterweise viel effektiver ist, bestehende Kunden zu behalten als neue dazu zu gewinnen. Erfahrene Relaunchexperten setzen daher ihre erste Priorität immer auf das Halten bestehender Verwender und hören beispielsweise bei Tests viel mehr auf sie als auf Nichtverwender, die keine Beziehung zu der Marke oder dem Produkt haben. Sie wissen, dass ein Relaunch, der zu konservativ ausfällt, zwar kein großer Erfolg wird, aber auch, dass ein zu ambitionierter Relaunch eine Katastrophe werden kann.

CapitalMag2013aWer die neue Capital durchblättert, wird schnell feststellen, dass bisherige Leser ihr Produkt kaum wiedererkennen werden. Das ist offensichtlich auch die Absicht – die Macher haben sich entschieden, den normalen Drahtseilakt bei Relaunches einfach zu ignorieren. Die Zeitschrift ist schöner und emotionaler geworden – aber wollen die treuen Leser solche Veränderungen? Vermutlich nicht und viel mehr werden dem Heft den Rücken kehren als bei einem Relaunch normalerweise zu verkraften wäre.

Das gewollte Risiko kann nur aufgehen, wenn die Zeitschrift die verscheuchten Leser durch neue kompensieren kann – aber da kommen Zweifel auf. Während die neue Capital schön durchzublättern und anzuschauen ist, ist bisher wenig Zwingendes dort zu entdecken. Und das ist erst Recht kein Grund, regelmäßig 7.50 € dafür auszugeben.

Der neue Chefredakteur Horst von Buttlar plädiert dafür, dass die Leser dem Heft Zeit geben sollten, um sich daran zu gewöhnen. Ich befürchte, dass er bald dieses Plädoyer bei seinem Arbeitgeber wiederholen muss. Wer das Drahtseil nicht ausreichend respektiert, kann tief fallen.